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Beim Durchstöbern meines E-Mail-Postfachs fiel mir kürzlich einer dieser Newsletter ins Auge, die in letzter Zeit immer häufiger von diversen Onlineportalen an Kampfsportinteressierte und vermeintliche Fans der Kampfkünste versandt werden. Besonders auffällig war die Werbung für einen Online-Kurs, welche dem Durchschnittsbürger suggerierte, aus diesem innerhalb kürzester Zeit einen neuen Bruce Lee zu machen: „Erlernen Sie die geheime Kampfkunst „Dim Mak“ – Energiepunkte als Schlüssel zum Sieg über weitaus größere und stärkere Gegner“. Beim genaueren Durchlesen der Kursbeschreibung konnte man dann in Erfahrung bringen, dass es – vereinfacht ausgedrückt – beim „Dim Mak“ vor allem darum geht, durch gezieltes Schlagen bzw. Drücken auf sogenannte Nervendruckpunkte den Gegner innerhalb kürzester Zeit außer Gefecht zu setzen. Der Einsatz dieser „geheimen“ Techniken könne demnach bei potentiellen Aggressoren extreme Schmerzen, Ohnmacht oder im schlimmsten Falle sogar den Tod hervorrufen (Anm.: Hingewiesen wurde auch immer wieder auf die Gefährlichkeit dieser Techniken und die Notwendigkeit des verantwortungsvollen Umgangs mit diesen).

Weitere Recherchen ergaben, dass der Verwendung von Nervendruckpunkten zum Zwecke der Selbstverteidigung bzw. des Kampfes die gleichen Prinzipien zugrunde liegen, welche auch bei der Akupressur bzw. der Akupunktur Anwendung finden. Bei diesen oftmals im Bereich der alternativen Heilmethoden anzutreffenden Verfahren geht man davon aus, dass das gesamte Nervensystem des menschlichen Körpers von „Leitbahnen“ – oftmals auch Meridiane genannt – durchzogen ist, auf welchen wiederum einzelne Punkte liegen, die ihrerseits den jeweiligen Organen des Körpers (Herz, Lunge usw.) zugeordnet werden können. Durch Stimulation dieser Punkte mittels Finger/Hand (Akupressur) bzw. spezieller Nadeln (Akupunktur) könnten demnach diverse Heilwirkungen erzielt werden, welche sich die Ärzte der Alternativmedizin bei der Behandlung ihrer Patienten zunutze machen. Den umgekehrten Weg gehen Methoden wie das „Dim Mak“, da hierbei durch gezieltes Schlagen auf die angesprochenen Vitalpunkte beabsichtigt ist, die Körperfunktionen des Gegners/Angreifers in negativem Sinne zu beeinflussen. Mögliche Auswirkungen dieser bewussten „Manipulationen“ des Körpers wären dann beispielsweise starke Schmerzen oder ein sehr schnell herbeigeführter „Knockout“.

Sieht man sich auf Online-Plattformen wie YouTube die Videos der selbsternannten Meister des „Dim Mak“ oder weiterer mit Nervendruckpunkten arbeitender Selbstverteidigungssysteme an, so wird man schnell feststellen, dass diese Vorführungen in den allermeisten Fällen einem bestimmten Muster folgen: Vor versammelter Schülerschaft demonstriert der „Meister“ an seinem völlig regungslos vor ihm stehenden Schüler die Funktionen der einzelnen Nervendruckpunkte, indem er diese mit dosierten Schlägen bearbeitet und der Schüler dazu ein schmerzverzerrtes Gesicht zur Schau stellt, während die anderen Schüler anerkennend mit dem Kopf nicken und die unglaublichen „Geheimtechniken“ des Meister bestaunen. Um es mir bei all der Ironie nicht gänzlich mit den Anhängern von Nervendruckpunktechniken und mit diesen Prinzipien arbeitenden Kampfkunstschulen zu verscherzen, möchte ich an dieser Stelle klarstellen, dass ich das Vorhandensein und die Wirkungsweise der Vitalpunkte des menschlichen Körpers nicht grundsätzlich verneine. Medizinische Studien im Bereich der Akupunktur bzw. der Akupressur haben mittlerweile objektiv nachgewiesen, dass derartige Methoden bei diversen Krankheiten zur Behandlung geeignet sind und der Heilungsverlauf durch deren Einsatz positiv beeinflusst werden kann. Hierbei sollte man aber bedenken, dass behandelnde Ärzte und Therapeuten sehr umfangreiche anatomische Kenntnisse benötigen, um die Anwendungsmöglichkeiten der Akupunktur bzw. Akupressur auch vollumfänglich nutzen zu können.

Während ein im Bereich der Akupunktur arbeitender Arzt bei einem ruhig auf der Behandlungsliege befindlichen Patienten die speziellen Punkte auf den Nervenleitbahnen zielsicher mit den medizinischen Nadeln ansteuern kann, erscheint es im Bereich der Selbstverteidigung mehr als fraglich, ob ein mit Nervendruckpunkten arbeitender „Experte“ diese Punkte bei einem sich schnell bewegenden Gegner ebenso rasch ausfindig macht. Die bereits erwähnten Vorführungen, welche die Nervendruckpunkt-Meister mit ihren Schülern darbieten, sind im Hinblick auf funktionale Selbstverteidigung insofern unrealistisch, als dass bei einer echten Auseinandersetzung auf der Straße niemals ein unbewegliches Ziel vor einem stehen wird (Anm.: Es sei denn, der Angreifer ist so betrunken, dass er von selbst umfällt – Ironie aus).

Neben Systemen wie dem „Dim Mak, die mit einer Vielzahl von Vital- bzw. Nervendruckpunkten arbeiten, wird auch in der herkömmlichen Selbstverteidigung oftmals damit geworben, Angreifer durch gezieltes Schlagen auf empfindliche Körperregionen innerhalb kürzester Zeit außer Gefecht setzen zu können. Besonders häufig findet man dies bei speziell auf Frauen ausgerichteten Selbstverteidigungskursen, in welchen die Teilnehmerinnen lernen sollen, sich trotz eines Nachteils in Sachen Kraft und Körpergewicht gegen einen Angreifer erfolgreich zur Wehr zu setzen. Als mögliche Angriffsziele werden den Frauen beispielsweise Augen, Kehlkopf oder auch die Genitalien eines (männlichen) Angreifers genannt, da diese als besonders schmerzempfindlich und vermeintlich leicht angreifbar gelten. Auf den ersten Blick macht dieser Vorgehensweise durchaus Sinn, da die meisten Frauen einem Mann körperlich deutlich unterlegen sind und insofern rein auf Kraft basierende Techniken im Ernstfall möglicherweise nicht funktionieren würden.

Kritisch zu sehen ist es allerdings, wenn den Frauen eingeredet wird, dass bereits ein einziger Schlag in die genannten Körperregionen ausreicht, um einen Angreifer kampfunfähig zu machen. Befragt man Polizisten oder Mitarbeiter aus dem Security-Bereich, so werden diese sicherlich bestätigen können, dass bei einem unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehenden Aggressor das Schmerzempfinden deutlich reduziert ist und beispielsweise ein Tritt in die Weichteile keine Garantie dafür bietet, den Angriff wirksam zu stoppen. Zeigt die im Kurs erlernte „100 Prozent-Technik“ im Falle eines tatsächlichen Angriffs auf der Straße nicht die gewünschte Wirkung, so kann bei der Frau unter Umständen sogar eine „Schockstarre“ einsetzen, da sich die harte Realität so völlig anders darstellt als die Wunschvorstellung in ihrem Kopf. Daher ist es für jeden seriösen Trainer/Ausbilder äußerst wichtig, den Teilnehmerinnen zu verdeutlichen, dass es bei einem echten Angriff keine Garantien für das Funktionieren einer einzelnen Technik gibt und man immer mehrere Optionen bereithalten muss, um einen solchen Angriff erfolgreich abzuwehren.

Selbstverständlich sollte man in einem Selbstverteidigungskurs Techniken wie Fingerstiche zum Auge oder Kniestöße in die empfindlichen Weichteile mit entsprechender Schutzausrüstung üben lassen. Darüber hinaus müssen aber auch die Teilnehmerinnen eines Frauen-Selbstverteidigungskurses lernen, durch Schlagtechnik und Körpermechanik den wohl größten und relativ am einfachsten zu treffenden „Vitalpunkt“ des Angreifers anzusteuern, den Kopf. Bei all den vielen im Internet propagierten Geheimtechniken und Nervendruckpunkten wird nämlich schnell mal vergessen, dass bei mit entsprechender Körpermechanik zum Kopf ausgeführten Schlägen immer noch die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit gegeben ist, einen Angreifer wirksam zu treffen und gegebenenfalls bewusstlos zu schlagen.

Wie man sieht, kommt es vor allem darauf an, den Trainierenden im Rahmen eines in sich schlüssigen Selbstschutzkonzeptes stets mehrere Alternativen an die Hand zu geben, mittels derer eine reale Bedrohungssituation auf der Straße wirksam entschärft werden kann. Der Trainer hat hierbei einerseits die Aufgabe, die Fähigkeiten der Schüler unter Berücksichtigung von deren individuellen Voraussetzungen Schritt für Schritt zu verbessern, um das Selbstvertrauen seiner Schützlinge auf diesem Wege zu stärken. Zugleich sollte ein guter Ausbilder aber auch darauf achten, keine unrealistischen Erwartungen bei den Trainierenden zu wecken, da das so aufgebaute „Kartenhaus“ im Falle eines realen Angriffs allzu schnell in sich zusammenfallen könnte. Regelmäßiges Training mit Entwicklung einer entsprechenden Fitness, ausreichend Sparring mit progressiver Erweiterung der Komfortzone des Einzelnen sowie der Aufbau eines gesunden aber nicht übertriebenen Selbstvertrauens sollten die Eckpfeiler eines funktionalen Selbstschutzsystems darstellen, oder um es mit den Worten von Bernhard Lang, dem Gründer des Urban Survival-Selbstschutzkonzeptes zu sagen: You get what you train for, not what you wish.

In diesem Sinne Euch allen viel Spaß beim Training und bis bald!